Hochschule Magdeburg-Stendal

Biogas: Wissenschaftler und Unternehmer entwickeln Verfahren zur flexiblen Nutzung der thermischen Energie

Von Claudia Aldinger | 12. Juli 2016

Aus Überzeugung für eine Technologie und mit dem Druck aus veränderten Marktbedingungen
haben sich Wissenschaftler und Firmen aus Sachsen-Anhalt zusammengetan,
um „ThermoFlex“ zu entwickeln. Damit sollen Biogasanlagen um die Funktion eines flexiblen
Wärmespeichers erweitert werden. Von ihrem Vorhaben konnten die fünf Projektpartner
auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung überzeugen, das
eine zweijährige Förderung aus dem Programm „KMU innovativ“ zugesagt hat.


Innovation aus der Hochschule Magdeburg-Stendal


An der Hochschule Magdeburg-Stendal denkt Ingolf Seick schon seit mehreren Jahren darüber
nach, wie man die Wärme von Biogasanlagen besser nutzen kann. „Wir wollen die
Temperaturen in der zweiten Fermentationsstufe gezielt regeln und die Wärme je nach
Bedarf entweder für die Biogasanlage selbst nutzen oder für die Wärmeversorgung in der
Nähe der Anlage“, erklärt der Ingenieur die Idee hinter „ThermoFlex“ (S. 3), von der er seinen
jetzigen Projektleiter Prof. Jürgen Wiese nicht lange überzeugen musste.

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Biogasanlagen in Deutschland

Bevor Jürgen Wiese seine Professur für Siedlungswasserwirtschaft an der Hochschule Magdeburg-Stendal im Januar 2016 angetreten hat, begleitete er den Aufbau und Betrieb von Biogasanlagen unter anderem als Geschäftsführer der Abwasser- und Bioabfallsparte eines kommunalen Energieversorgers. „Bislang werden in der Regel nur rund 40 Prozent der in Biogasanlagen produzierten Energie um gewandelt, und zwar in Strom. Der Rest ist Wärme, mit der viele Anlagen zurzeit noch gar nichts machen“, so Prof. Jürgen Wiese.

 

Mal so – mal so: Biogasanlagen und EEG

Mit diesem Defizit musste bislang auch der Anlagenbauer bue Anlagentechnik GmbH in Frankleben bei Mücheln am Geiseltalsee ganz im Süden von Sachsen-Anhalt leben. „Nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz 2016 werden voraussichtlich nur noch die Biogasanlagen gefördert, die auch eine Wärmeversorgung nachweisen können“, sagt Udo Boskugel. Der studierte Agrar-Ingenieur – mit Schwerpunkt biologisches Wissen – führt den heutigen Acht-Mann-Betrieb gemeinsam mit dem studierten Diplom-Ingenieur Matthias Bernhardt – Schwerpunkt technisches Wissen – seit 2007. Die EEG-Gesetzgebung war dabei nicht immer eine Hilfe.

 

Festhalten an einer Technologie

Nachdem die ersten EEGs einen regelrechten Boom von Biogasanlagen auslösten, kam das Neugeschäft durch die zurückgefahrenen Förderungen in den EEG 2012 und 2014 nahezu zum Erliegen. Baute bue im Jahr 2011 zehn Anlagen gleichzeitig, so waren es seitdem bis heute insgesamt zehn. „Um diese Zeit zu überbrücken, haben wir nach Wegen gesucht, um uns mit Forschung und Entwicklung einen gewissen Vorsprung zu erarbeiten“, erklärt Udo Boskugel, der unabhängig von der Förderpolitik an der Idee festhält, aus tierischen Exkrementen Energie zu produzieren – mit Vorteilen für Landwirt und Umwelt.

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Ausweg Forschung & Entwicklung

Allein mit der Gesellschaft zur Förderung von Medizin-, Bio- und Umwelttechnologien e.V. (GMBU) in Halle (Saale) haben Udo Boskugel und Matthias Bernhardt schon vier Forschungsprojekte bestritten. Daraus gingen drei Patente hervor, die der Anlagenbauer inzwischen unter anderem zum Problem der Entschwefelung vermarktet. Die Hallenser Bio- und Umwelttechnologen sind auch Partner im Projekt „ThermoFlex“, das zwei große Herausforderungen mit sich bringt.

 

Herausforderungen von „ThermoFlex“

Erstens: Wie tolerant reagieren die Mikroorganismen in den Bioreaktoren auf die Ab- und Zufuhr von Wärme? Dazu lassen derzeit Wissenschaftler des GMBU und der Hochschule Magdeburg-Stendal sowie Studenten der Hochschule Anhalt anaerobe Bakterien zahlreiche Experimente durchlaufen. Die zweite große Herausforderung: Wie muss das Regelungsverfahren aussehen, das die Wärme möglichst effizient und flexibel nutzbar macht? Dazu ist die Expertise Magdeburger Ingenieure der ifak system GmbH gefragt, unter deren Federführung eine Lösung entstehen wird.

 

Gute Aussichten

Am 21. Juni haben sich alle Projektpartner in Magdeburg getroffen. „Wir sind in den biologischen Voruntersuchungen schon ziemlich weit“, sagt Udo Boskugel inspiriert von dem intensiven Erfahrungsaustausch, „und die Ergebnisse bergen durchaus Überraschungen.“ Nach aktuellem Stand stehen die Zeichen gut, dass sich der Nachgärer gezielt als Wärmebatterie nutzen lässt und zwar mit überschaubaren Kosten für den Umbau der Biogasanlagen. Mit ihren Partnern will die bue Anlagentechnik GmbH bis spätestens 2018 die erste Demonstrationsanlage bauen und hätte damit ein weiteres wichtiges Patent in der Hand.

 

Beitrag zur Wärmewende

Im Projekt „ThermoFlex“ geht es aber um weit mehr, als den technischen Vorsprung deutscher Biogasanlagen noch einmal zu erhöhen. „Wenn wir von der Energiewende sprechen, meinen wir faktisch die Stromwende. Für die Energieziele brauchen wir aber auch eine Wärmewende“, erklärt Prof. Jürgen Wiese, „also mehr Flexibilität und Effizienz.“ Dass die 10.000 Biogasanlagen in Deutschland dazu einen erheblichen Beitrag leisten können, zeigen schon jetzt die Fortschritte von „Thermoflex“.

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Partner


bue Anlagentechnik GmbH (Konzeption, Entwicklung und Test des Verfahrens und der Demonstrationsanlage)


ifak system GmbH (Modellierung, dynamische Simulation und Entwicklung der Regelung)


Hochschule Magdeburg-Stendal, Fachbereich Wasser, Umwelt, Bau und Sicherheit
(Wissenschaftliche Grundlagen für Entwicklung und Test von Verfahren und Regelung sowie Referenzsysteme, Übertragung auf großtechnische Anlagen)


Gesellschaft zur Förderung von Medizin-, Bio- und Umwelttechnologien e.V. (GMBU) in Halle (Saale) (Systematische experimentelle Untersuchungen von Prozesskinetiken anaerober Biozönosen mit definierter Prozessgrößenvariation, Verfahrensvorschläge und -bewertung


Cordes + Winterberg GbR in Biederitz (Technische Beratung)

Ansprechpartner


Hochschule Magdeburg-Stendal
Prof. Dr. Jürgen Wiese
Tel.: 0391-8864373
E-Mail: juergen.wiese@hs-magdeburg.de

Ingolf Seick 0391-8864365
E-Mail: ingolf.seick@hs-magdeburg.de

bue Anlagentechnik GmbH
Udo Boskugel
Tel.: 034637-600051
E-Mail: u.boskugel@bue-anlagentechnik.de

Ziel

  • Innovatives Verfahren zur flexiblen Nutzung der in Biogasanlagen produzierten Wärme ohne zusätzlichen Speicher
  • Steigerung des Biogasertrages
  • Handreichung für großtechnische Realisierungen und eine Demonstrationsanlage (Potenzielle Anwender: Betreiber von landwirtschaftlichen Biogasanlagen, von Abfallvergärungsanlagen sowie kleinere und mittlere Stadtwerke mit ihren Wärmeabnehmern)
  • Nachhaltigkeit und Klimaschutz: ökonomisch sinnvolle Wärmenutzung in Kraft-Wärme-Kopplung bei Biogasanlagen mit bedarfsgerechter Stromproduktion. Einsparung von Substraten durch höhere Substrateffizienz.

 

Zeitrahmen

  • 2016 bis 2018

 

Finanzierung

Gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Förderprogramm „KMU-innovativ Ressourcen- und Energieeffizienz“, Schwerpunkt „Energieeffizienz/Klimaschutz“, Anteil HS: 272.000 Euro, im Verbund rund 600.000 Euro